Kulturpolitik darf nicht „Kugelmugel“ werden
2012 haben Georg Seeßlen und Markus Metz die Streitschrift „Kapitalismus als Spektakel“ herausgebracht. Sie berichten darin von der zunehmenden Indienstnahme des „Ästhetischen“ als Betriebsmittel der aktuellen Wirtschaftsdynamik und machen diesen Befund anhand von red bull oder apple anschaulich. Der Erfolg der Produkte dieser Unternehmen läge immer weniger in ihrem materiellen Substrat (damit ihren Funktionsnutzen), sondern vielmehr in ihrer ästhetischen Ausgestaltung. Entscheidend sei das Image, das sie transportieren und damit ihre ästhetische Erscheinung. Da ist es nur konsequent, wenn der Salzburger Bildungswissenschafter Franz Billmayer die Orte der kulturellen Bildung von der Schule in die shopping malls verlegt.
In einem aktuellen Beitrag „Glanz und Elend“ (Zeitschrift konkret, Ausgabe 2/2013, S. 44ff) beschäftigt sich Georg Seeßlen mit einer Dimension kultureller Bildung, die in der öffentlichen Beschäftigung gerne ausgeblendet wird und – siehe die politischen Veränderungen in England und ihre dramatischen Auswirkungen auf das Angebot kultureller Bildung – doch nicht unterschätzt werden sollte.
Anhand der gesellschaftlichen Funktion des Bildmediums Klatschpresse analysiert er die Dialektik zwischen Macht und Herrschaft, zwei Begriffe, die mir im Zusammenhang von kultureller Bildung nie unterkommen. Warum eigentlich nicht?
Die Klatschpresse lebt von der Darstellung des Lebens der Schönen und Reichen. Einer breiten, in der Regel nicht an Politikanalyse interessierten Leserschaft wird eine Doppelbotschaft vermittelt, wenn einerseits das Personal als BewohnerInnen eines unerreichbaren Olymps dargestellt wird, der Normalsterblichen verschlossen bleibt. Diese aber verhalten sich andererseits wie Du und ich, also als Menschen, mit denen man sich identifizieren kann, weil auch sie ihre liebe Not haben mit den Widernissen des Lebens, wenn es „menschelt“ und die LeserInnen über deren Trennungen, Drogenkonsum, Krankheit oder Plagiatsverdacht informiert werden.
Die mediale Aufregung rund um die unendliche Wiederkehr immer gleicher home stories aus der Welt der Prominenz suggeriert, dass diese in der Lage wäre, Einfluss auszuüben und damit das gesellschaftliche Leben zu beeinflussen (wäre das nicht der Fall, dann würde über sie ja erst gar nicht berichtet werden). Die Probleme können nicht trivial genug sein und transportieren doch einen Anspruch auf Wichtigkeit (als Voraussetzung von Mächtigkeit), ohne den Herrschaft – ganz dass darauf explizit verwiesen werden müsste – nicht funktionieren kann.
Die öffentliche Zertrümmerung von Herrschaft und die Anonymisierung von Macht
Jetzt ist das so eine Sache mit dem Begriff der Herrschaft. Der Begriff ist ja zuletzt in demokratisch verfassten Ländern (in denen die Macht angeblich vom Volk ausgeht) aus der Mode gekommen. Wer wagte es noch in einer auf demokratische Mitbestimmung begründeten Gesellschaft offen einen Herrschaftsanspruch zu stellen? Bei Kaiser Franz Joseph hatte wohl niemand ein Problem und auch Vladimir Putin müsste man eindeutig festmachbare Herrschaftsansprüche nicht erst künstlich unterstellen. Wie aber ist das mit Bundeskanzler Werner Faymann oder mit dem vormaligen deutschen Bundespräsidenten Christian Wulff, von dem sich zuletzt seine Frau getrennt hat, um ihn damit zu einem lukrativen Gegenstand der Klatschpresse zu machen? Sind nicht gerade sie Prototypen für den Befund, dass all das, was man früher ganz selbstverständlich mit „Herrschaft“ verbunden hat, heute obsolet erscheint?
Ganz offensichtlich sind vor allem politischen Entscheidungsträgern die Herrschaftsinsignien (die als Inszenierung und in der Regel mit äußerst kunstvoll gestaltete Objekte wie Kronen, Zepter oder Throne ästhetisch hoch aufgeladen waren) weitgehend abhanden gekommen. Stattdessen gilt es, „Volksnähe“ zu zeigen und in der literarischen Form des Leserbriefs den NutzerInnen des Boulevard nach dem Munde zu reden.
Heißt das aber auch, dass mit dem Verlust von – auf die Beeindruckung der Öffentlichkeit abzielenden – Herrschaftsinsignien auch gleich auf die traditionell damit verbundenen Machtansprüche verzichtet wird?
Zur Beantwortung käme ich gerne noch einmal auf die Klatschpresse zu. Dieser kommt ja – und das macht einen Gutteil ihrer Attraktivität aus – in diesen Tagen gerne die Funktion der „Herrschaftszertrümmerung“ zu. In ihr werden all diejenigen lustvoll vorgeführt, deren Funktionen darauf abstellen, Herrschaft auszuüben, vor allem mit ihren Schwächen, wenn es darum geht, ihre Ambitionen zu diskreditieren. Und es kann jeden treffen, wenn es gilt, vor den Augen einer angstlustigen Leserschaft von einer – von keinen Diskretionsansprüchen zu stoppenden – Journalistenmeute durch den Kakao gezogen zu werden.
Der Boulevard also als Medium, das die „Herrschaftsanfälligen“ von ihren hohen Rössern auf den Boden der Realität herunterholt, um dem Diktat der vermeintlichen Volksstimme zu ihrem Recht zu verhelfen (und damit den Medien selbst zu kommerziellem Erfolg). In dem Maße aber – und darin liegt der Widerspruch – in dem die Prominenz mit ihren herrschaftlichen Ambitionen öffentlich vorgeführt wird, haben es diejenigen, die es verstehen, hinter den Kulissen solch medial inszenierter Schaukämpfe ihre Machtansprüche in quasi herrschaftsfreien (weil medial unkommentierten) Zonen durchsetzen zu können, umso leichter.
Kann Transparenz den Verlust an Herrschaft wettmachen?
Neben der Brachialität der Klatschpresse gibt es noch seriösere Methoden, traditionelle Herrschaftsansprüche zu desavouieren. Sie bestehen in der umfassenden Schaffung von Transparenz und damit der Illusion, durch Offenlegung möglichst aller Entscheidungsgrundlagen jeglichen Anspruch auf Herrschaft hinter sich lassen zu können. Der bulgarische Politikwissenschafter Ivan Krastev hat diese Strategie, die zur Zeit in Form einer intellektuellen Widerstandsbewegung Furore macht, in seinem Beitrag „The Transparency Delusion“ einer grundlegenden Kritik unterzogen. Sie läuft im Wesentlichen darauf hinaus, dass mit der massenhaften Verbreitung immer neuer Informationen zwar Herrschaft irritiert werden kann (das prominenteste Beispiel der letzten Zeit hierfür sind die Veröffentlichungen von WikiLeaks, die eine Reihe prominenter Entscheidungsträger nachhaltig ins Schwitzen gebracht haben), die dahinter steckende Machtfrage hingegen ausgeblendet bleibt. Krastev spricht in dem Zusammenhang sogar von einer „Transparenzverschwörung“.
Womit wir wieder bei der Von Seeßlen angesprochenen Dialektik von Herrschaft und Macht wären. Wenn vieles dafür spricht, dass das offensive Stellen von Herrschaftsansprüchen irgendwie aus der Mode gekommen ist bzw. seine Vulgarisierung zu einem wesentlichen Inhalt der Unterhaltungsindustrie verkommen ist, ist damit die Frage, wer denn gerade das Sagen hat bzw. hinter den Kulissen des Boulevard die Strippen zieht, noch nicht aus der Welt. Ganz im Gegenteil könnte man zur Vermutung kommen, der aktuelle öffentliche Verfall von Herrschaft (der sich auch im Befund einer allgemeinen Schwäche der PolititkerInnen, mehr des politischen Systems niederschlägt) künde vor allem vom Versuch, Macht neu zu organisieren und sie dort durchzusetzen, wo gerade niemand hinschaut.
Ein neuer UNESCO-Chair zu „Cultural Policy for the Arts in Development“ – Wir gratulieren herzlich und würden uns wünschen, wenn…
Zumindest nach meinem Dafürhalten gibt es sie noch, die Macht als Fähigkeit, das eigene Interesse anderen als Arbeits-, Kampf- oder Duldungsverhalten aufzuzwingen. Zum Unterschied aber von Herrschaft, die notwendig auf sicht-, vor allem auf spürbaren Ausdruck gerichtet ist (um sich so – siehe oben – angreifbar zu machen), ist Macht in der Regel trotz aller Transparenzvorgaben wesentlich schwerer zu fassen. Mehr, sie erweist sich – abseits des öffentlichen Getümmels – umso wirkungsvoller, als sie selbstverständlich und unsichtbar wirken kann.
Womit wir bei der Kultur wären. In diesen Tagen kam es zur Einrichtung des UNESCO-Chairs "Cultural Policy for the Arts in Development" am Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim. Inhaber ist Prof. Wolfgang Schneider, der sich in den letzten Jahren intensiv darum bemüht hat, Fragen der kulturellen Bildung und Vermittlung auf die deutsche kulturpolitische Agenda zu bringen.
Im Rahmen eines internationalen Kolloquiums zu „Kultur und Entwicklung“, zu dem eine Reihe von Gästen aus afrikanischen Ländern eingeladen waren, stellte das Institut seine zentralen Arbeitsgebiete vor:
- Rolle des Künstlers in gesellschaftlichen und politischen Transformationsprozessen
- Einfluss von Kulturpolitik auf die Veränderung von Regierungsstrukturen
- Kulturelle Bildung in Afrika sowie in weiteren Entwicklungs- und Schwellenländern
- Strukturbildung von Ausbildungsprogrammen im Bereich Kulturpolitik und Kulturmanagement
- Umsetzung der UNESCO-Konvention zur Vielfalt kultureller Ausdrucksformen
Diese weitreichenden Aufgabenstellungen können einen schon mal vermuten lassen, universitäre Kulturpolitikforschung ginge es weniger um die Durchsetzung des Anspruchs auf wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn als vielmehr um die Ausgestaltung einer auf Normativität abzielenden Rhetorik zugunsten von lobbying und advocacy festzulegen, die vorab festlegt, welch wichtigen Beitrag Kunst und Kultur für die Verbesserung der politischen und sozialen Bedingungen in den afrikanischen Ländern zu leisten vermag.
Universitäre Kulturpolitikforschung zwischen wissenschaftlichem Erkenntnisgewinn und arbiträrer Glaubensverkündigung
Das hat Folgen: In Erinnerung geblieben ist mir vor allem eine Gesprächsrunde, in dem der Rektor der Universität die anwesenden KünstlerInnen Monika Gintersdorfer und Knut Klaßen, die über langjährige Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit afrikanischen KünstlerInnen verfügen, fast schon flehendlich um ihre Erwartungen ersucht hat, die sie mit den versprochenen Unterstützungsleistungen eines solchen UNESCO-Chairs verbinden würden. Mehr als ein pragmatischer Problemlösungsbedarf wie: Wir brauchen AnsprechpartnerInnen vor Ort, mit denen wir uns verständigen und insbesondere Fragen der Technik abklären können, oder: Wir brauchen Visa für unsere afrikanischen KooperationspartnerInnen, um die gemeinsamen Arbeiten auch in Europa präsentieren zu können, war ihnen auch beim besten Willen nicht zu entlocken.
Und plötzlich war sie wieder da, die Frage der Macht bzw. die Verweigerung, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Denn was ist das anderes als eine Machtfrage, wenn der Anspruch gestellt wird, gesellschaftliche und politische Transformationsprozesse mit dem Medium der Kunst zu gestalten bzw. Veränderungen von Regierungsstrukturen in Afrika in Gang zu setzen. Die anwesenden KünstlerInnen haben jedenfalls mir den wichtigen Eindruck hinterlassen, sie wollten sich auf diese Art von verbalen Machtspielchen erst gar nicht einlassen und sich stattdessen auf die hard facts ihrer Kunstproduktion konzentrieren.
Zumindest einer der Gründe einer solchen Verweigerung mag darin liegen, dass die weitreichenden Machtansprüche, die im Rahmen der Konferenz verhandelt wurden, keinerlei Entsprechung in konkreten Umsetzungsstrategien gefunden haben. Geblieben ist die Zelebration eines universitären Glaubensbekenntnisses, Kunst würde per se zu einer Verbesserung politischer Verhältnisse führen, egal ob diese heute noch von ganz anderen Machtansprüchen dominiert werden.
Und da war sie wieder die Vermutung, Kulturpolitikforschung wäre in besonderer Weise prädestiniert, sich einer Analyse der bestehenden Machtverhältnisse zu verweigern. Wenn suggeriert wird, KünstlerInnen auf dem Tahrirplatz käme die Rolle von Bob Dylan zu, wenn es darum geht, die Verhältnisse zu Besseren zu wenden, dann ist zuallererst wissenschaftlicher Zweifel angesagt (der Karikaturist Manfred Deix hat in diesem Zusammenhang selbst die Rolle von Bob Dylan als Weltverbesserer rigoros in Zweifel gezogen. Hören Sie dazu: „Intermezzo“ vom 17. Februar, OE 1). Zu groß ist die Versuchung, sich im Gefolge mehr oder weniger prominenter KünstlerInnen einen herrschaftsfreien Raum zu imaginieren, in dem sich die Verhältnisse so zurechtrichten lassen, wie man sie gerne hätte.
In diesem Sinn muss Kulturpolitikforschung auf immer wieder neue Weise aufpassen – entgegen der eigenen Intention – dieselbe Funktion wahrzunehmen wie die Klatschpresse, wenn sie der Neigung vieler ihrer RepräsentantInnen nachgibt, eher von den realen Machtverhältnissen (die am besten im Verborgenen blühen) abzulenken als diese handlungsleitend zu analysieren. Die gelinde gesagt zurückhaltenden Reaktionen von Gintersdorfer und Klaßen, die als KünstlerInnen mit all den gut gemeinten advocacy speeches ganz offensichtlich nichts anfangen konnten, sollten uns dabei eine wichtige Warnung sein.
Wider die Macht zum Nichtlernen
Der tschechisch/US-amerikanische Politikwissenschafter Karl Deutsch hat eine ironische Definition von Macht als Lizenz zum Nichtlernen gegeben. Ausgestattet mit den universitären Insignien der kritischen Wissenschaft wäre nicht nur dem neuen UNESCO-Chair zu wünschen, er würde sich von der eigenen Rhetorik nicht allzu sehr verführen lassen und stattdessen mit einer Beforschung des politischen Kontextes, in dem er agiert, einen signifikanten Beitrag zur Ermächtigung dieses noch so jungen Forschungsfeldes leisten.
Neben VertreterInnen der Kulturpolitikforschung hatte zuletzt noch einer die Neigung, sich die Welt zurechtzugestalten: In Wien hat vor ein paar Jahren der kreative Exzentriker Edwin Lipburger im Prater seinen eigenen Staat (inklusive eigenem eingezäumtem Staatsgebiet in der Größe eines Schrebergartens) errichtet. Einer der Mächtigen der Stadt, der damalige Wiener Bürgermeister Helmut Zilk, hat sich persönlich (gegen einen breiten Widerstand) für die Errichtung einer Republik „Kugelmugel“ mit seinem charakteristischen Kugelbau als Regierungsgebäude eingesetzt.
Die Gründung dieses Kleinststaates hat eine Zeit lang die Öffentlichkeit intensiv beschäftigt. Heute ist diese Episode weitgehend in Vergessenheit geraten. Geblieben ist eine leere Hülle.
Kulturpolitik als Synonym für „Wir Haberer“?
Zuletzt noch ein Literaturhinweis: Robert Menasse hat in diesem Jahr einen der staatlichen Kunstpreise erhalten. Bei der Gelegenheit hat er eine Rede gehalten, die anhand des Begriffs der „repräsentativen Anarchie“ eine Typologie der österreichischen Kulturpolitik versucht. Lesen Sie „Wir Haberer“ und Sie wissen, warum der Zustand der österreichischen Kulturpolitik so ist wie er ist.
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